RAHEL SÜSS
PROJEKTE
DEMOKRATISCHE ZUKÜNFTE ↑
Wovon sprechen wir heute eigentlich, wenn wir von Demokratie sprechen? Die ganze Schwierigkeit dieser Frage wird in dem gegenwärtigen Hype um Demokratie offenbart. Während allerdings globale Technologiekonzerne bereitwillig im Namen der Demokratie unsere Zukunft überwachen und autoritäre Gruppen den Verlust einer nationalen Zukunft beklagen, setzen Bewegungen wie Fridays for Future und Open-Source auf eine Pluralität an Zukünften. Für Demokratie kann das nur bedeuten, dass die Zukunft selbst auf dem Spiel steht. Tatsächlich kann die Zukunft der Demokratie nur den Handlungsexperimenten gehören, in denen wir die Erfahrung machen können, dass Veränderung von uns selbst ausgeht. Eines machen nämlich die aktuellen Demokratiebewegungen klar: Nichts ist demokratischer, als mit neuen Denk- und Handlungsweisen zu experimentieren.
EXPERIMENTELLE DEMOKRATIE ↑
Dieses Projekt entfaltet ein neues Paradigma der Demokratie, das demokratische Politik für das Zeitalter der Digitalisierung aktualisiert. Die Gefahr für Demokratie erblicke ich in einer technokratischen Experimentiergesellschaft, die mit ihrer Vision einer vollständig antizipierbaren Zukunft im Kern Politik vermeidet. Aus dieser Grundthese entwickel ich ein Modell experimenteller Demokratie als zukunftsöffnende Demokratie. Eine solche Bestimmung reagiert auf ein verengtes Verständnis von Demokratie in den meisten liberalen Theorien und verschiebt den Blick von Freiheit auf dessen Vollzugsweise, nämlich Befreiung.
Im Sinneswandel Podcast stelle ich zentrale Ideen des Projekts im Gespräch mit Oliver Nachtwey vor.
KOLLEKTIVE HANDLUNGSFÄHIGKEIT ↑
Warum werden trotz der anhaltenden Krisen keine fundamentalen Transformationsprojekte wirkungsmächtig? Wie kann Handlungsfähigkeit im Spannungsfeld von Herrschaft und Widerstand genauer begriffen werden? Der Begriff der kollektiven Handlungsfähigkeit wird meist unklar verwendet und bedarf der Präzisierung. Dazu werden die drei einschlägigen Denkströmungen der kritischen Psychologie Klaus Holzkamps, der Hegemonietheorie Antonio Gramscis und der radikalen Demokratietheorie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe befragt.
DIGITALE DEMOKRATIE ↑
Demokratie und neue digitale Technologien unterliegen einer ambivalenten Beziehung in der heutigen liberalen Vorstellungswelt. Doch was verbirgt sich hinter dem Begriff „digitale Demokratie“? In meinem aktuellen Projekt erforsche ich zwei zentrale Fragen: (1) Wie haben liberale Ideen unsere Sicht auf Demokratie und Digitalisierung geprägt und begrenzt? (2) Welche Vorstellungen könnten eine radikal-demokratische Perspektive auf beide Begriffe umfassen? Meine Ausgangsthese lautet, dass Demokratie nicht nur eine abstrakte Idee ist, sondern sich durch konkrete materielle Ausprägungen manifestiert – und wir leben zweifellos in einem digitalen Zeitalter. Wenn wir also über digitale Demokratie sprechen, argumentiere ich, dass wir beide Begriffe im Kontext des anderen verstehen müssen. Wir betrachten digitale Technologien durch unser Verständnis von Demokratie und begreifen Demokratie durch unsere Begegnung mit digitalen Technologien. Digitale Technologien als demokratisch zu betrachten, muss daher auch implizieren, die Formen von Macht zu berücksichtigen, die diese Technologien in ihren spezifischen Eigentumsverhältnissen, ihrer Ausgestaltung und ihren Kontrollmöglichkeiten konstituieren.
DIE POLITIK DER PROVOKATION ↑
Eine Politik der Provokation ist entscheidend für eine lebendige Demokratie. Demokratie sollte nicht als statisches Konzept betrachtet werden, sondern als ständig herausfordernde Dynamik. Diese Auffassung richtet sich gegen das liberale Verständnis, dass politische Macht hauptsächlich durch faire Verfahren ausgeübt wird, um gesellschaftliche Probleme rational zu lösen. Wollen wir Demokratie aber nicht bloß in Rationalität aufgehen lassen und auf die Sorge um eine öffentliche – und neuerdings auch algorithmische – Vernunft verengen, muss die Prämisse verändert werden. Was nämlich ein Verständnis von fairen Verfahren übersieht, ist, dass sich die Offenheit der Demokratie nicht aus Normen per se ableitet, sondern auf andauernde Problematisierungen ihrer Grenzziehungen angewiesen ist. Soweit wir Demokratie nämlich an die Möglichkeit eines zukunftsöffnenden Handelns binden, haben wir es bei ihr nicht bloß mit einer problemlösenden Kraft zu tun, sondern mit einer Praxis der Problematisierung. In diesem Sinne stehen demokratische Gesellschaften vor der Aufgabe, fortlaufend neue politische Agenden zu provozieren, um gesellschaftliche Ausschlüsse zu regulieren. Dies erfordert, soziale Normen als wandelbar zu betrachten und ihre vermeintliche Natürlichkeit zu hinterfragen. Eine Politik der Provokation betont daher nicht nur faire Verfahren, die Inklusion und Einfluss auf politische Entscheidungen gewährleisten, sondern auch die Notwendigkeit von Mechanismen zur Organisation demokratischer und kollektiver Handlungsmacht.
"ENGAGIERTE LITERATUR" ↑
Inspiriert von Jean-Paul Sartres Konzept der littérature engagée (deutsch: engagierte Literatur), gründete ich die internationale Zeitschrift engagée für politische und philosophische Einmischungen. engagée war eine unabhängige Zeitschrift und Projekt, das an der Schnittstelle von Politik, Philosophie und Kunst agierte. Bis 2022 war die Zeitschrift in London, Wien und Berlin tätig. Unser Hauptaugenmerk lag darauf, aktuelle politische Themen anzusprechen, kritische Analysen zu verbreiten und theoretisch fundierte Einmischungen vorzustellen. Während der Laufzeit des Projekts veröffentlichten wir zehn Ausgaben und brachten ein Buch heraus. Darüber hinaus organisierten wir mehr als zehn Veranstaltungen, einschließlich Diskussionsrunden, Performances und Installationen in Städten wie London, Rom, Berlin und Wien. Ich war für das Design der Zeitschrift und des Projekts verantwortlich.
AUSGEWÄHLTE PUBLIKATIONEN ↑
BÜCHER
"Politique de la Provocation - La révolte contre les échecs démocratiques", Eterotopia France, Paris, 2021.
"Demokratie und Zukunft. Was auf dem Spiel steht". Edition Konturen, Wien 2020.
"Kollektive Handlungsfähigkeit. Gramsci – Holzkamp – Laclau/Mouffe". Vorwort von Oliver Marchart. Turia + Kant, Wien, 2. Auflage 2016.
HERAUSGEBERSCHAFT
Süß w/ engagée collectif (ed.), "Villes Radicales. Du droit à la ville à la démocratie radicale". Eterotopia, Paris 2019.
Mark, Heissenberger, Schramm, Sniesko, Süß (ed.), "Uni brennt: Grundsätzliches – Kritisches – Atmosphärisches". Zweite erweiterte Auflage. Turia + Kant, Wien 2010.
BUCHKAPITEL
"How the Politics of Provocation is Shaping Democratic Futures." In: Miessen, Markus (Hg.): Agonistic Assmblies: On the spatial politics of horizontality. Sternberg Press, Juni 2024.
"Democratic Practices". (Rahel Süß in conversation with Francelle Cane, Marija Maric, Markus Miessen, and Cesar Reyes). In: Miessen, Markus (Hg): Agonistic Assmblies: On the spatial politics of horizontality. Sternberg Press, Juni 2024.
"Demokratie ist radikaler Experimentalismus". In: Rajal/Marchart/Buero-trafo.K/ Landkammer/Maier (Hg.) (2019): Making Democracy – Aushandlungen von Freiheit, Gleichheit und Solidarität im Alltag. transcript.
"Elemente einer radikalen Demokratietheorie des Experiments". In: Vey, Leinius, Hagemann (Hg.) (2019): Handbuch Poststrukturalistische Perspektiven auf soziale Bewegungen: Ansätze, Methoden und Forschungspraxis. transcript.
“Theorie und Praxis”. In: Comtesse, Flügel-Martinsen, Martinsen, Nonhoff (Hg.) (2019): Handbuch radikale Demokratietheorie. Suhrkamp.
Kolioulis; Süß, "Villes Radicales. Du droit à la ville à la démocratie radicale". In: engagée collectif (Hg.) (2019), "Villes Radicales. Du droit à la ville à la démocratie radicale". Eterotopia.
“Hegemonie und kollektive Handlungsfähigkeit in der Vielfalt gesellschaftlicher Widersprüche. Über die Schwierigkeit eines linken Mosaikprojekts”. In: Hawel, Kalmring (Hg.) (2016): Wie lernt das linke Mosaik? Die plurale Linke in Bewegung. VSA.
“Denken Hilft”. In: Heissenberger, Mark, Schramm, Sniesko, Süß (Hg.) (2016): Uni brennt – Grundsätzliches, Kritisches, Atmosphärisches. Turia + Kant.
ARTIKEL, REZENSIONEN, INTERVIEWS
Who is the Digital Sovereign? In: Democratic Theory, 2023.
Radikale Demokratie für das Klima. In: Luxemburg, Oktober 2022.
Gerbaudo; Süß, "Democracy from the Bedroom: How the internet politicized our most intimate spaces." In: Logic Magazine, 08.2022.
Revolutionary Mathematics and Democratic Dreams. In: Verso Blog, 22.03.2022.
Book Review: "Book Review: Digital Technology and Democratic Theory edited by Lucy Bernholz, Hélène Landemore und Rob Reich", LSE Review of Books, 18.03.2020.
Pour une politique de la provocation. In: Le Grand Continent, 24.06.2021.
Horizontal experimentalism: rethinking democratic resistance. In: Philosophy and Social Criticism. 2021 (online first).
Kolioulis; Süß, "Why does finance care so much about students?", Greater Manchester Housing Action, 28.09.2020.
Book Review: "Reactionary Democracy: How Racism and the Populist Far Right Became Mainstream by Aurelien Mondon and Aaron Winter", LSE Review of Books, 21.07.2020.
Kolioulis; Süß, (Interview w/ Adam Greenfield), "Disobedient Technologies". In “Disobedient Futures”, engagée 9, 06.2020.
“Provozierte Demokratie”. In “Disobedient Futures”, engagée 9, 06.2020.
Book Review: "In the Shadow of Justice: Postwar Liberalism and the Remaking of Political Philosophy by Katrina Forrester", LSE Review of Books, 22.11.2019.
Book Review: "Critique of Forms of Life by Rahel Jaeggi", LSE Review of Books, 04.10.2019.
Kolioulis; Süß, "Alien Futures’, Thoughts on The Xenofeminist Manifesto". engagéeBlog, 12.01.2019.
Kolioulis; Süß, “The circular horizon of municipal movements: democracy, capital and radical politics”. In “Radical Cities”, engagée 6/7, 05.2018.
Kolioulis; Süß, “Radical Democracy and Municipal Movements. A conversation with Jeremy Gilbert”. In “Radical Cities”, engagée 6/7, 05.2018.
Kolioulis; Süß, “Circularity. A new strategic horizon”. Open Democracy, 15.01.2018.
Book Review: "Reflections on Trevor G. Smith’s Politicizing Digital Space: Theory, the Internet, and Renewing Democracy”. In: Journal Triple C Vol 15, No 2 (2017)